Waiting for Tugends

„Waiting for Tugends“, 2019

Installation; Holz, Klebefilm, Karton, Graphit und Kohle

ca. 150 x 250  x 50 cm

 

In etwa 10 m Abstand stehe ich vor der Installation. Ich bin im Freien, stehe auf einer ebenen Fläche, Wiese und Bäume umgeben mich. Die ebene Fläche ist eine kleine Anhöhe, die eine alte Burg unter sich begraben haben soll. Bein Blick geradeaus betrachtet die Installation zunächst mit Abstand. Eine transparente, im Halbkreis nach innen gebogene Wand mit weißem Raster, das viele gleichformatige Fenster umrahmt, nehme ich wahr. Ich gehe ein paar Schritte weiter. Jetzt sehe ich weiße Fetzen in einigen der Rahmen. Sie wirken wie Wolken. Im Hintergrund und auch noch durch die einzelnen Fenster der Installation hindurch, sehe ich blauen Himmel, Bäume, Wiese. Die Installation ist also durchscheinend.

Jetzt sehe ich noch weitere Kunstwerke auf diesem Plateau. Eine Holzskulptur, ein riesiges Ei aus Beton vermutlich und Portraitfotografien, die an einer Leine aufgehangen, zwei Bäume miteinander verbinden.

Ich gehe weiter auf die Installation zu. Was ist das für Material? Glas? Acryl? Ist das überhaupt wetterfest?

Jetzt stehe ich direkt vor ihr. Oder stehe ich bereits in der Installation? Wie viel Raum gehört zu ihr?

Ich trete in den Halbkreis hinein, einen halben Meter Abstand zur gerasterten, transparenten, gewölbten Wand. Ich sehe die weißen Fetzen nun als Papierrester, beschrieben und abgerissen. Ich lese einzelne Wörter, manchmal Satzfragmente. Sprüche, Gebote, Gesetze – zerstückelt – in Fragmente zerlegt. Fragmente, Wortrester, gestapelt, überlappend, eine Struktur bildend. Neu zusammengesetzte Gedankenstücke bleiben bestehen von dem was mich umgibt, als Zeitzeugen für den Moment.

Nun sehe ich mir das Material der Installation genauer an, bewege meinen Kopf dicht an das Raster heran. Plastik ist das. Die Fenster sind aus Klebefilm. Die Rahmen aus weißer Pappe. Ein Holzgerüst wird jetzt dahinter sichtbar, an dem die einzelnen Rahmen im Raster befestigt sind. Ich trete nun aus dem Halbkreis heraus, bewege mich zur Rückseite der Wand. Es ist nicht eindeutig, ob es eine Außenseite ist. Soll sie umlaufen werden? Das Holzgerüst ist mit Stricken abgespannt. Jetzt fällt mir erst auf, das es windig ist. Die Installation ist wie ein Segel starkem Wind-Widerstand ausgesetzt. Sie wird den Bedingungen vor Ort angepasst. Wie sähe sie wohl in einem White-Cube aus? Erst jetzt sehe ich neben der Schrift auch Muster, Spuren, Fingerabdrücke, die der Klebefilm aufgenommen hat. Ich folge einem plötzlichen Instinkt die beschriebenen Fenster zu berühren, fahre mit meinem Zeigefinger Zeile für Zeile auf dem Klebefilm ab. Es ist bewegliches Material, erstaunlich widerstandsfähig und wirkt doch so empfindlich.